In der Medizin und beim Börsenhandel hilft künstliche Intelligenz bereits seit Jahren. Jetzt lernt sie, Gebrauchtwagen zu verstehen

Tomáš Trnka, Chief Data Officer, Carvago. Foto: Carvago

  • Das gemeinsame Projekt des Online-Marktplatzes Carvago und der Tschechischen Technischen Universität Prag (ČVUT) sucht Arten, wie künstliche Intelligenz helfen kann, den Verkauf und Kauf von Autos zu vereinfachen. 
  • Dank des Lernens an großen Datenmengen kann künstliche Intelligenz unter anderem den Preis eines konkreten Autos genau beziffern. 
  • Für die Experten der Tschechischen Technischen Universität Prag ist dieses Projekt eine Gelegenheit, wissenschaftliche Erkenntnisse schnell in praktische Applikationen mit kommerzieller Nutzung zu übertragen. 
  • Großes Potential hat die Feststellung zusätzlicher Informationen über die Autos aus ihren Fotos.

Künstliche Intelligenz ist für die meisten Menschen weiterhin etwas schwer Greifbares. Häufig stellen sie sich Computer-Supersysteme vor, die die großen wissenschaftlichen und technischen Probleme dieser Welt lösen, oder umgekehrt ein Spielzeug, das einen scheinbar sinnvollen Text oder eindrucksvolle Bilder generieren kann. Künstliche Intelligenz wird heute aber praktisch in einer Vielzahl scheinbar prosaischer Lebensbereiche eingesetzt. Sie hilft, elektrische Netze zu steuern, Geschwüre zu erkennen, Kleidung in Online-Shops auszuwählen – und jetzt auch dabei, eingebürgerte Abfolgen beim Gebrauchtwagenverkauf zu revolutionieren. Carvago arbeitet daran mit der Tschechischen Technischen Universität Prag zusammen, die zu den größten und ältesten technischen Hochschulen in Europa gehört. 

„Wenn wir sagen, dass Carvago primär ein Technologieunternehmen ist, ist das kein leeres Klischee“, sagt Tomáš Trnka, der Leiter des Carvago-Datenteams. „Täglich analysieren wir Millionen von Automobilinseraten aus ganz Europa, um den Kunden das breiteste Fahrzeugangebot auf dem Markt anzubieten.“

Der Mensch schafft das nicht

„Wenn wir bei jedem inserierten Auto seine FIN wüssten, könnten wir alle notwendigen Informationen relativ einfach und zuverlässig feststellen. “Allerdings ist in europaweitem Maßstab bei neun von zehn inserierten Autos die FIN nicht aufgeführt“, erklärt Tomáš Trnka. „Uns stehen eine Reihe von Fotos zur Verfügung, strukturierte Angaben wie der Kilometerstand, der Preis, die Parameter des Motors und Ähnliches, und dazu ein beschreibender Text, der häufig ungenau ist, Tippfehler und unklare Formulierungen enthält. Die Verarbeitung dieser Daten manuell in dem Umfang, wie er jeden Tag durch unsere Systeme fließt, liegt nicht in den menschlichen Möglichkeiten.“

Im Rahmen des Operationellen Programms Unternehmen und Innovation für Wettbewerbsfähigkeit (OP PIK) knüpfte die Gruppe EAG, deren Teil Carvago ist, daher die Zusammenarbeit mit den Spezialisten für künstliche Intelligenz aus dem Labor für Datenwissenschaften des Universitätszentrums für energieeffiziente Gebäude (UCEEB) der Tschechischen Technischen Universität Prag an.

Beide Partnerparteien arbeiten an einer Reihe einzigartiger Forschungsprojekte, von denen die vielversprechendsten schließlich in die Praxis münden. Künstliche Intelligenz erweist sich bereits jetzt als erstaunlicher Helfer bei der gesammelten Verarbeitung der Fotos der Gebrauchtwagen. Mit konkurrenzloser Geschwindigkeit sortiert sie Zehntausende Bilder, je nachdem, ob darauf das Exterieur, das Interieur oder ein anderer Teil des Autos zu sehen ist. Sie erkennt das Kennzeichen und das Modell des Autos ebenso wie den Winkel, aus dem die Fotos gemacht sind.


Was ist künstliche Intelligenz – und was ist sie nicht 

Künstliche Intelligenz unterscheidet sich von üblichen Computerprogrammen dadurch, dass sie so entworfen ist, dass sie sich wie Menschen oder andere intelligente Lebewesen verhält. Das bedeutet, dass künstliche Intelligenz in der Lage sein kann zu lernen, zu planen und selbst zu entscheiden. Im Unterschied zu üblichen Computerprogrammen, die genauso funktionieren, wie sie entworfen wurden, kann künstliche Intelligenz Daten analysieren und auf deren Grundlage eigene Entscheidungen treffen. Das ermöglicht es ihr, auf verschiedene Situationen und Milieus zu reagieren und sich auch neuen Bedingungen anzupassen. Das ist der Hauptunterschied zwischen künstlicher Intelligenz und üblichen Computerprogrammen.

Anmerkung: Den vorangehenden Absatz und das begleitende Bild schufen frei zugängliche Instrumente der künstlichen Intelligenz, ChatGPT (Text) und DALL-E 2 (Bild). 


„Bereits das ist eine riesige Hilfe“, lobt Tomáš Trnka. „Wir können die Fotos automatisch so sortieren, dass sie in jedem Inserat immer in der gleichen Reihenfolge sind. Zuerst eine Dreiviertelansicht, die zweite von hinten, die dritte von der Seite usw. Darüber hinaus können wir verschwommene Fotos und unnötige Fotos identifizieren, und wir können sogar die Kompositionen erkennen, die den Leuten am besten gefallen werden. “Wenn Menschen das machen müssten, bräuchten wir eine ganze Armee.“ 

„Die Zusammenarbeit der Tschechischen Technischen Universität Prag mit der Unternehmenssphäre und die Übertragung wissenschaftlicher Methoden in die Praxis ist einer der drei Hauptentwicklungsbereiche der Universität, der beide Seiten bereichert“, erläutert Miroslav Čepek, Fachassistent der Tschechischen Technischen Universität Prag, die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit für die akademische Sphäre. „Die Firma erhält Zugang zu den modernsten Techniken, die helfen, ihre Tätigkeit zu entfalten, während für die Experten der Tschechischen Technischen Universität Prag ähnliche Projekte eine Gelegenheit darstellen, Wissenschaft in praktische Applikationen zu übertragen und Erfahrungen mit den einzelnen Techniken im praktischen Einsatz zu sammeln. Doppelt gilt das gerade für den Bereich der künstlichen Intelligenz, wo die richtige Tätigkeit der meisten Methoden gerade von der Verfügbarkeit großer Datenvolumen abhängt. Im universitären Milieu ist es schwierig, diese zu gewinnen, aber für Firmen, wie es die Carvago ist, ist die Bedienung großer Datenmengen tägliche Routine.“ 

Die Tschechische Technische Universität Prag bindet außerdem Studenten in das Projekt ein, für das die Zusammenarbeit eine Gelegenheit ist, während des Studiums Arbeitserfahrungen in der Branche zu sammeln.

Sie weiß genau, wieviel das konkrete Auto kosten soll 

Hinsichtlich des Innovationspotentials und des praktischen Nutzens sind die Algorithmen für die Bestimmung des Preises der Autos entsprechend ihrem Typ, dem Alter und der Ausstattung die wichtigsten Bereiche der Forschungszusammenarbeit. Dank der Verfügbarkeit einer Unmenge an Inseraten aus ganz Europa konnten die Experten der Tschechischen Technischen Universität Prag einen Algorithmus erstellen, der den Preis eines konkreten Autos mit einer Genauigkeit um die drei Prozent bestimmt. Bei üblichen Marken, wie zum Beispiel Škoda und Volkswagen , ist die Genauigkeit noch besser. „Dank dessen können sich unsere Experten auf wirklich problematische Fälle konzentrieren – mir fällt zum Beispiel ein Ford F-150 Raptor mit Wohnaufbau ein – und muss nicht die Preise üblicher Autos bestimmen“, sagt Tomáš Trnka. 

Die 10 meistverkauften Autos auf Carvago im Jahr 2022

Aktuell arbeitet die Firma Carvago an der Einbindung der bereits siebten Generation des Modells des maschinellen Lernens in ihre internen Systeme. Diese Generation des Modells ist dabei für die Firma bahnbrechend. Nach der anfänglichen Preisbewertung des Autos schaut sie noch die Fotos des Autos an und korrigiert anhand der Fotos den Preis nachträglich. „Wir haben uns lange bemüht, das Modell so zu trainieren, dass es die Räder, den Lack oder die Sonderausstattung ‚anschaut”, führt Trnka weiter aus. „Nichts davon hatte jedoch nachweislichen Einfluss auf den Preis. Schließlich ließen wir der künstlichen Intelligenz freie Hand, und sie lernte selbst, was sie auf den Fotos anschauen soll, um zur Präzisierung des Schätzpreises zu gelangen. “Wir stellen erst rückwirkend mit Hilfe spezieller Verfahren fest, welche Elemente auf den Fotos preisbildend waren.“

Die Forschung beschränkt sich aber nicht nur auf die Verarbeitung der Fotos. Die künstliche Intelligenz hilft den Analytikern der Gesellschaft Carvago, aus dem unstrukturierten Text der Inserate Informationen über die Ausstattung, ernste Reparaturen oder die Existenz eines Scheckheftes zu gewinnen. In Zukunft plant Carvago eigene, Maschinen generierte Beschreibungen der Inserate aufgrund der über die Autos gewonnenen Parameter.

Weitere Vervollkommnung 

Zu lernen, aus Fotos weitere Ausstattungselemente, besondere Beschädigungen und unübliche Elemente zu erkennen, ist für beide kooperierende Parteien bereits zur Forschungsroutine geworden. Zu den weiteren großen Herausforderungen, die unter anderem jetzt in der ganzen Branche des maschinellen Lernens gelöst werden, gehört die sogenannte Interpretierbarkeit der Modelle, wo sich Fachleute mit verschiedenen Methoden der Nachkonstruktion (Reverse Engineering) bemühen zu verstehen, welche Faktoren die Modelle als wichtig für die Entscheidungsfindung auswerten. Das hilft durch die Erklärung der konkreten Ergebnisse nicht nur, das Vertrauen in künstliche Intelligenz innerhalb der Firma zu stärken, sondern dank dessen entstehen auch neue Beobachtungen, die zu weiteren unternehmerischen Ideen und Verbesserungen führen.

Die zweite Herausforderung ist die Sicherheit bzw. Unsicherheit, mit der die Modelle Antworten liefern. „Wir werden ganz anders mit der Information umgehen, dass das Auto 13 000 EURO kosten sollte, wenn sich das Modell zu 95 % sicher ist, als mit der gleichen Schätzung, die aber eine Sicherheit von 17 % hat“, erläutert Tomáš Trnka abschließend.


Die Projekte „Forschung und Entwicklung der App TEAS DMS 2.0 basierend auf Big Data und AI” (Registrierungsnummer CZ.01.1.02/0.0/0.0/20_321/0024728) und “Forschung und Entwicklung eines Fahrzeugkatalogs, der die Prädiktion des Restwerts der Fahrzeuge aufgrund von AutoML und Image Recognition ermöglicht” (Nr. CZ.01.1.02/0.0/0.0/20_321/0024988) werden aus dem operationellen Programm Unternehmen und Innovation für Wettbewerbsfähigkeit aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

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